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"Wie das Blatt sich wendet. Eine Erzählung aus meinem Leben", so heißt eine schmale Autobiografie des chinesischen Literaturnobelpreisträger Mo Yan. Sie entwirft ein ruhig reflektierendes Erinnerungsspiel zwischen Enttäuschungen und Erfolgen.
Von Martin Zähringer |
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Mo Yan wird der Vorwurf gemacht, er setze sich nicht - ähnlich wie die Dissidentenautoren - von den chinesischen Machthabern ab. Der Angriff geht ins Leere, denn wenn man diese leider etwas schmal geratene Autobiografie liest, die schon 2010 vor der Verleihung des Nobelpreises vorlag, wird es recht deutlich: Mo Yan gehört selbst von Anfang an zu den Strukturen der kommunistischen Macht. Immerhin ist er Armeeoffizier, wird von der Armee gefördert und gelangt nur so in die höheren Bildungsinstitutionen, die ihm eine professionelle Karriere als Autor erst ermöglichen. Er verteidigt diese politische Seite seines Lebens keineswegs, macht aber auch klar, dass er sich nicht als moralisches Gewissen der Welt sieht. Am Anfang stand auch für ihn die Zurückweisung, die Universität bleibt ein Traum:
"Obwohl ich theoretisch zwar die Voraussetzungen mitbrachte, war es praktisch völlig aussichtslos. Jedes Jahr wurden nur wenige ausgewählt, nicht einmal die Kinder der Kommunekader hatten die Chance, einen solchen Platz zu ergattern. Ich mit meiner Schulbildung von fünf Jahren Grundschule würde nie und nimmer an die Reihe kommen. Dazu war mein Familienhintergrund Mittelbauer, also besser als unterer und armer Mittelbauer; ein Großmaul hatte ich auch, und eine seltsame Gestalt war ich obendrein."
Von der Grundschule zur Armee
In der Logik des chinesischen Klassenkampfes muss der Mittelbauer also schlechter gestellt werden. Das erfuhr schon sein Vater, der sein ganzes Leben lang der kommunistischen Partei treu gedient hat, wie er seinem Sohn erzählt, aber nie das Parteibuch bekommen habe. Dafür wurde sein erstgeborener Sohn der erste Universitätsabsolvent in ganz Nordostgaomi. Und das damit verbundene Prestige hat auch den kleinen Bruder Mo angespornt, trotz aller Widerstände etwas zu werden. Da die Uni aussichtslos war, führte der Weg nach der Grundschule zur Armee. Erst im dritten Bewerbungsjahr wurde er aufgenommen:
"Im Anschluss an unsere Rekrutenbildung wurden ich und drei meiner neuen Kameraden zu unserer ersten Dienststelle, in eine geheime Einheit des Verteidigungsministeriums, gebracht. Viele Nachbarn und Freunde aus meinem Dorf beneideten mich, dass ich einer so feinen Dienststelle zugeteilt worden war. Doch als ich dort eintraf, war ich sehr enttäuscht. Es handelte sich nur um eine kleine Peilstation, und sie sollte in Kürze geschlossen werden."
Doch die Zeit bei der Armee wird für diese Erinnerungen zum eigentlichen Taktgeber. Hier beginnen die feinen leitmotivischen Fäden sich zu verbinden. Motive wie der sowjetische Lastwagen GAZ-51 etwa. Der war in der Schulzeit auf dem Dorf das einzige Motorgefährt, sein Fahrer der absolute Held der Geschwindigkeit. Schon damals war das Gefährt historisch, und der Fahrer konnte alle vorherigen Fahrer aufzählen. Außerdem war er der Vater des begehrtesten Mädchens in der Schule. Dieses Leitmotiv zieht sich bis zum Ende durch, der GAZ-51 fährt uns in ebenjene neuen Zeiten Chinas, wo das freie Unternehmertum blüht, und damit Eigennutz und Korruption, der am Ende auch der Erzähler nicht entkommt. Aber den jungen Rekruten führt der GAZ-51 zunächst einmal in die große Stadt:
"Peking! Ich konnte es kaum fassen! Das also war Peking! Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich armer Schlucker aus Nordostgaomi am 18. Januar doch tatsächlich in Peking eintreffen würde. Es gab hier so viele kleine weiße und schwarze Pkws! Ungezählte kleine, grüne Jeeps! So viele Hochhäuser! Und Ausländer! Ungezählte Großnasen mit blauen Augen bekam ich zu Gesicht. Das Peking der Siebziger besaß damals nicht ein Zehntel der Fläche, die das heutige Peking einnimmt. Aber in meinen Augen war es so unermesslich groß, dass man sich fürchten musste.
Mit der Armee kommt Mo Yan also bis nach Peking. Sie bringt ihm auch Förderer, die ihm den weiteren Bildungsweg erleichtern, und als die Zulassungsquote für die Universitätsprüfung erweitert wird, ist er der Erwählte. Unermüdlich lernt er in einem muffigen Werkraum den naturwissenschaftlichen Stoff der Mittelschule nach, doch dann wird die Quote plötzlich wieder aufgehoben. Er schafft es trotzdem:
"Ein Soldat, der die Arbeit eines Kaders übernimmt und die Rekrutenstudenten engagiert und wortgewaltig unterrichtet, der alles gibt, wenn er den Marxismus erklärt, und der außerdem Romane schreibt, darauf achten die Leute."
Durchbruch
Erste Erfolge als Prosaautor, eine eng mit der Armee verquickte Karriere, die sich fortsetzt, als er im Herbst 1984 die Aufnahmeprüfung für die Kunstakademie der Volksarmee besteht, im Fach Literatur, kurz darauf der Roman "Das Rote Kornfeld". Der Durchbruch ist geschafft und erreicht internationale Dimensionen, als der Roman verfilmt wird und bei der Berlinale den Goldenen Bären erhält. Auch die Produktion dieses Films - in Nordostgaomi eine Sensation - wird im pointierten Modus einer fast lyrischen Raffung der Themen und Ereignisse erzählt. Ein Modus, der das angenehme Understatement dieser Autobiografie unterstreicht. Mo Yan entwirft ein ruhig reflektierendes Erinnerungsspiel zwischen Enttäuschungen und Erfolgen. Die subjektive Seite dieser Erinnerungen ist hier so eng mit der objektiven Welt verbunden wie der russische GAZ-51 mit der großen Liebe auf dem Lande und dem Wandel "Made in China". Dabei findet diese literarische Dialektik ihre Entsprechung in der Rolle des Erzählers. Wie bei den großen Erzählerfiguren seiner Romane ist die moralische Macht dieses Erzählers - Mo Yan selbst - am Ende angeschlagen.